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Mitglied werden!27. Juni 2020 Thema: Bildung & Chancen Von Johannes Waldmann
Viele Jugendliche und junge Erwachsene verbringen eine Zeit im Ausland, um neue Erfahrungen zu machen. Ob als SchülerInnen-Austausch, direkt nach dem Abitur, während oder nach der Ausbildung bzw. des Studiums.
In diesem Blogartikel und dem dazugehörigen Videointerview beantwortet Frieda Schmitz viele Fragen rund um das Thema, weil sie nach dem Abitur für einige Monate in Sambia war. Dort hat sie am Entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ teilgenommen.
Frieda Schmitz: Ich war mir schon mit circa 16 Jahren sicher, dass ich nach meinem Abitur ins Ausland gehen möchte. Deshalb musste ich nur noch entscheiden, wo und was ich machen will. Da gibt es ein sehr großes Angebot, über das ich mir erstmal einen Überblick verschaffen musste, dabei sind einige Angebote schon nicht in Frage gekommen, sodass ich immer weniger Auswahl hatte. Von den übrig gebliebenen hat mir weltwärts am besten gefallen. Es gibt ein ausgeklügeltes System, was zum Beispiel die pädagogische und emotionale Unterstützung durch Ansprechpartner*innen und Mentor*innen absichert.
Frieda Schmitz: Ich war mit Brot für die Welt in Sambia. Für mich war das wichtigste Entscheidungskriterium, wie mit dem Spender- beziehungsweise Unterstützendenkreis umgegangen wird. Da gibt es große Unterschiede, obwohl alle Freiwilligen dazu angehalten sind Spenden zu sammeln, sind einige Organisationen mehr auf die Spenden angewiesen. Es darf nirgends ein Auswahlkriterium sein, aber bei Brot für die Welt hat mir gut gefallen, dass die Gespräche zum Aufbau dieses Kreises uns auf die Ausreise vorbereiten. Man spricht viel über die eigene Motivation und die Arbeit, die einen erwartet. Bei anderen Organisationen geht es dabei mehr um die finanziellen Aspekte.
Frieda Schmitz: Alle Freiwilligen müssen bei der Ausreise 18 bis 28 Jahre alt sein. Für Menschen, die ein Abitur gemacht haben, ist es kein Problem direkt danach auszureisen. Alle anderen müssen erst etwas anderes machen. Das kann zum Beispiel ein Praktikum, ein FSJ oder eine Ausbildung sein. Außerdem sollte man ganz passabel Englisch oder eine andere Sprache, die im angestrebten Land gesprochen wird, sprechen.
Frieda Schmitz: Sinazeze ist ein kleines Dorf im Sinazongwe Distrikt in der Süd-Provinz Sambias im südlichen Afrika. Der Kariba-See ist mit dem Auto circa 45 Minuten entfernt, durch diesen verläuft die Grenze nach Simbabwe. Hier darf man auf Grund von Bilharziose nicht baden, aber es gibt ein paar kleine Lodges, die teilweise auch einen Pool haben. Besonders in der heißen Phase im Oktober/November war so eine Abkühlung ganz schön. Weil Sinazeze im Gwembe-Tal liegt, wird es ähnlich wie in Livingstone ziemlich heiß. Das wärmste, was ich miterlebt habe, waren 43 Grad Celsius. An solchen Tagen konnte ich mich immer schwer aufraffen, weil einfach alles anstrengend war.
Frieda Schmitz: Wir haben hier versucht den Kindern und Jugendlichen einen Raum zu geben, um sich frei entfalten und spielen zu können. Die Gesellschaft in Sambia ist strikt hierarchisch aufgebaut. Im Jugendzentrum waren alle gleich und zusätzlich sollte es ein sog. „safe space“ sein. Das bedeutet, dass wir für Fragen und Diskussionen zu allen Themen zur Verfügung stehen. Das kann zu den verschiedensten Themen sein, ob zur Sexualität, Schule, familiäre Probleme oder Gesundheitsfragen. Wir haben zum Beispiel auch Kondome ausgegeben, wenn wir danach gefragt wurden. Mir hat es besonders viel Spaß gemacht zu sehen, wie sich einige Kinder verändern, wenn sie einem immer mehr vertrauen.
Frieda Schmitz: Es gibt in Sambia nicht DAS Leben. Es gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Auch unterscheiden sich die verschiedenen Stämme mit ihren jeweiligen Traditionen. Ich habe das Leben der Tonga auf dem Land ganz im Süden des Landes kennen lernen dürfen. Zudem habe ich auch einen Freund aus dem Norden, der Bemba ist, kennengelernt.
Viele Dinge kann ich nicht wirklich verstehen, weil ich auch in Sambia ein privilegiertes Leben geführt habe. Ich habe im Gegensatz zu Nachbarn und Kollegen von mir nie Geldsorgen gehabt, konnte mich zur Not auf die deutsche Botschaft verlassen (zu dem Ernstfall ist es nie gekommen) und ich bin weiß. In meinem täglichen Leben habe ich von den kolonialen Kontinuitäten profitiert. Ich bin mir darüber bewusst. Einige Dinge, wie zum Beispiel Wäsche mit der Hand zu waschen, kamen mir am Anfang ziemlich komisch vor und haben mich auch überfordert, aber ich bin an diesen Herausforderungen gewachsen und unfassbar dankbar für die Hilfe, die ich von meinem Mentor, seiner Frau und meinen Kolleg*innen bekommen habe.
Frieda Schmitz: Vorab lässt sich sagen, dass ich in Sambia Männer, die mit mir geflirtet haben, viel leichter los geworden bin als in Deutschland. Die Erklärung, dass ich verheiratet bin, hat schon vollkommen gereicht, die Männer haben danach weiter mit mir gesprochen, aber nicht geflirtet. In Deutschland habe ich auch schon mal vor einem Mann weglaufen müssen, weil für ihn die verbale Zurückweisung nicht reichte. Ja, es ist unschön, wenn ein fremder Mann deinen imaginären Ehemann oder die Ehe an sich mehr respektiert als einen selbst. Trotzdem habe ich mich nicht unsicherer oder sicherer gefühlt als in Deutschland.
Ich war aufgrund meines Geschlechts eingeschränkt und wurde zum Beispiel weniger ernst genommen als mein weißer, männlicher Kollege. Zudem habe ich auch Diskriminierung erfahren, meist in Form von Sexismus. Ich habe aber auch Privilegien erfahren. Privilegien aufgrund meines Weißseins. Im Bus zum Beispiel sollte ich mich häufig ganz nach vorne setzen, weil die Aussicht am schönsten ist. Diese Erfahrungen sind sehr ambivalent, weil ich in der einen Situation als reich und einflussreich und ich der anderen Situation als weniger Wert als ein weißer Mann gelesen werde.
Frieda Schmitz: Rassismus war in der Vorbereitung ein wichtiges Thema, damit verbunden war sehr stark das eigene Weißsein. Dieses Privileg habe ich erst in der Zeit kurz vor der Ausreise wirklich auf dem Schirm gehabt und in Sambia dann sehr stark erfahren. Nicht, dass mich jemand falsch versteht: ich habe nie Rassismus erfahren. Das werde ich auch nie, weil ich weiß bin. Aber ich habe die damit verbundenen Privilegien erstmals wirklich bewusst wahrgenommen.
Wir sollten uns alle mit dem Thema auseinandersetzen, denn wenn wir es weiter ignorieren und uns zum Beispiel mit der eigenen Kolonialgeschichte oder der Situation von BPoC in Deutschland und anderswo nicht auseinandersetzen, dann kann unsere Gesellschaft nicht antirassistisch werden und das muss sie.
Frieda Schmitz: Wer für ein weltoffenes Deutschland ist, der sollte sich mit dem eigenen „Happyland“ * auseinandersetzen. Rassismus ist nicht nur in rechten Parteien wie der AfD zu finden, sondern ein strukturelles, gesellschaftliches Problem. Bitte entschuldigt an dieser Stelle auch die Anführungszeichen um das Wort Alltagsrassismus im Video, diese sind da deplatziert, weil eben genau dieser Alltagsrassismus so ein großes Problem ist. Dagegen hilft meiner Meinung nach nur Bildung. Genauso wie ich werden sich auch andere in ihrer Freizeit mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Das kostet natürlich Zeit, aber es ist lange überfällig und notwendig, dass sich eine breite Masse in Deutschland mit dem Thema auseinandersetzt und wir aufhören uns vorzumachen, es gäbe nur in den USA ein Rassismus-Problem. Diese Konfrontation tat mir teilweise weh, weil ich viele Situationen im Kopf hatte, in denen ich vermutlich andere mindestens vor den Kopf gestoßen habe oder sie wirklich verletzt habe.
Viele von uns haben das Privileg sich mit Rassismus auseinandersetzen zu können und es nicht zu müssen, weil sie nicht betroffen sind, aber gerade deshalb ist das Beschäftigen mit Rassismus so unendlich wichtig.
*“Happyland“ ist ein von Tupoka Ogette in ihrem Buch „exit racism“ genutzter Begriff, der das Leben vor dem rassismuskritischen Denken beschreibt.
• „Was weiße Menschen über Rassismus wissen sollten, aber nicht hören wollen“ von Alice Hasters und „Exit racism“ von Tupoka Ogette lesen (unabhängig davon, ob man ins Ausland will oder nicht, wieso steht oben drin)
• Den social Media feed etwas diverser gestalten. Es gibt einige Konten auf zum Beispiel Instagram, die super cool sind und mehr zeigen als nur der Durchschnitt.
• Vor der Bewerbung: Macht euch bewusst, was ihr von der Organisation erwartet und sucht danach die Organisation aus. Das können Sachen wie die Betreuung, die Arbeit und die Transparenz sein. Ihr solltet euch mit der Organisation identifizieren können, weil einige auch nachher möchten, dass ihr euch engagiert.
• Nach der Auswahl: Entwicklung von (Anti-)Heimweh-Strategien
• Auseinandersetzen mit Rassismus, der Kolonialgeschichte Deutschlands plus eventuell der des Ziellandes und in jedem Fall mit dessen Geschichte. Die politische und wirtschaftliche Situation vor Ort, der Umgang mit Privilegien und eventuell auch dem reicher sein als die Kolleg*innen.
• Im Land: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig fragen. Versuchen den Lebensstil anzupassen, trotzdem nichts machen wobei man sich super unwohl fühlt, versuchen die Sprache zu lernen
Frieda Schmitz: Meiner Meinung nach, sollte gerade Europa vom hohen Ross runterkommen, denn unsere Systeme funktionieren nicht überall auf der Welt und das ist gut so. Mit Programmen wie weltwärts wird die Weltoffenheit und der Antirassismus von jungen Menschen gefördert. Das Land, in welchem der Dienst geleistet wird, hat selbst sehr wenig davon, außer dass eine weitere Weißnase ein sehr viel echteres Bild ihres Landes hat und das hoffentlich an Freunde, Familie und Bekannte weitergibt. Der Kampf gegen Rassismus ist für unsere Gesellschaft essentiell.
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